Es hat sich recht spontan ergeben, dass beide Kinder heute außer Haus übernachten. Was also tun? Im Kino läuft zurzeit nichts Interessantes, also sind wir (wie die Rentner um 17:30 Uhr) essen gegangen und waren schon recht bald wieder zu Hause. Viel Zeit für eine passende Abendunterhaltung, weshalb wir uns für die Langfassung von Park Chan-wooks „Die Taschendiebin“ entschieden haben. Spoiler sind zu erwarten.

Die Taschendiebin (2016) | © Koch Media GmbH
Es kommt ganz auf die Perspektive an
Eigentlich weiß man über den Film bereits zu viel, wenn man die Inhaltsbeschreibung auf dem Cover liest. Die erste Wendung ereilt uns unwissende Zuschauer jedoch bereits nach ca. einer halben Stunde, weshalb das noch zu verschmerzen ist. Danach hält uns der Film mit seinen unterschiedlichen Erzählperspektiven jedoch gehörig auf Trab. Ich wurde wirklich mehrfach überrascht und bin trotz der Laufzeit von beinahe drei Stunden stets aufmerksam am Ball geblieben. Inhaltlich ist „Die Taschendiebin“ wahrlich ergiebig. Zusammen mit der eleganten bis pompösen Inszenierung ergibt sich ein faszinierendes Gesamtbild, das beständig zwischen Arthouse und Exploitation schwankt. Zumindest wenn man den Film auf seine Extreme beschränkt. Dazwischen bietet die Geschichte jedoch etliche ergiebige Details, die viel Freude bereiten.
Während der ersten halben Stunde hat sich „Die Taschendiebin“ für mich noch etwas sperrig angefühlt. Eher nach südkoreanischem Kostümdrama als einem mitreißenden Mystery-Drama. Wie bereits in „Oldboy“ begibt sich Park Chan-wook jedoch auch hier schon bald in Abgründe und bereitet seinen Figuren so manch schmerzhaften Moment. Dabei hält der Film für die beiden Hauptcharaktere ein glückliches Ende parat. Das war für mich letztendlich wohl auch die größte Überraschung an „Die Taschendiebin“.
Erotik als fester Bestandteil der Geschichte
Park Chan-wook inszenierte seinen Film ziemlich explizit, gerade was die Sexszenen angeht. Selten hatte ich jedoch das Gefühl, dass diese weniger dem Voyeurismus dienen, als ein essenzieller Bestandteil der Geschichte sind. Die Männer spielen in diesem Film, auch wenn es zu Beginn anders wirken mag, eine eher untergeordnete Rolle. Und sie kommen nie zum Zug, was den sexuellen Befreiungsschlag der beiden Protagonistinnen in der Mitte des Films umso eindringlicher wirken lässt. Neben seiner erotischen Komponente, besitzt der Film auch Humor, viel Drama und lässt uns Zuschauer an mehreren Mysterien teilhaben. Eine sehr ungewöhnliche Mischung, gerade wenn man, wie ich, eher Hollywood-Kino gewöhnt ist.
Fazit
Trotz seiner Andersartigkeit, oder gerade deshalb, konnte mich „Die Taschendiebin“ in vielerlei Hinsicht überraschen. Der Genremix ist ziemlich unvergleichlich und führt nicht nur seine Charaktere auf die falschen Fährten. Umso erstaunlicher, dass sich der Film zu keiner Sekunde zäh oder langatmig anfühlt. Für mich ein wahrlich besonderes Filmerlebnis, das mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird: 9/10 Punkte.
So viel Liebe für den Film. ❤
Der ist wirklich wieder sehr stilvoll geworden, dabei glücklicherweise nicht ganz so heftig wie noch bei STOKER, der ja eine überperfektionierte Bildsprache bot. Kenne bisher nur die Kinofassung und drücke mich wegen der Laufzeit noch etwas vor der Langfassung, aber der muss demnächst eh nochmal geschaut werden. Der bietet so extrem viel, da muss man mit den ganzen außerfilmischen Hintergründen auch erstmal hinterherkommen.
PS: Der Soundtrack ist auch ganz wunderbar und hat mich seit OLDBOY bei Park wieder so richtig gepackt: https://youtu.be/cBBtqNri8XU
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„Stoker“ habe ich noch nicht gesehen, allerdings reizt er mich (aus welchen Gründen auch immer) gar nicht so sehr. Die Langfassung geht ja „nur“ 20 Minuten länger. Ich fand diese sehr rund und möchte auch keine Szene missen, wenngleich bestimmt nicht alle zwingend nötig waren. Eine Zweitsichtung ist bei dem Film aber bestimmt empfehlenswert. Werde ich irgendwann auch noch einmal angehen. Davor aber noch einmal „Oldboy“, den ich auch viel zu lange nicht gesehen habe. Und ja, toller Score! 🙂
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Stoker ist auch… er ist nicht schlecht… aber er lässt einiges an koreanischen Charme vermissen. Jetzt nicht, weil er pretty much american ist, aber er ist so glattpoliert. Das stört mich da. Die Geschichte selbst widmet sich ja einiger Tabus, die Park schon öfters mal in seinen Filmen verbaut hat, aber joa. Man sollte ihn mal gesehen haben, aber nix zu dolles erwarten, wenn man seine restlichen Filme mag.
Och, schau doch lieber Sympathy for Mr. Vengeance., der würde es auch verdienen 😛
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Irgendwann werde ich „Stoker“ bestimmt noch schauen. Schon alleine, weil mich das US-Werk des Regisseurs interessiert. „Sympathy for Mr. Vengeance“ werde ich mir auch vormerken. Danke für den Tipp! 🙂
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Schau einfach alles von ihm – auch I’m a Cyborg, but that’s OK. Wahrscheinlich der einzige von ihm, der wirklich krass aus der Reihe fällt. 😀
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Ah, stimmt, den gibt es ja auch noch. Steht schon lange auf meiner Liste und muss ich mir nun endlich mal zulegen.
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Diesen interessanten Film hab ich letztes Jahr im Open-Air-Kino gesehen:
https://mwj2.wordpress.com/2017/07/23/die-taschendiebin-kurzkritik/
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Das war bestimmt auch eine tolle Erfahrung! 🙂
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Oh ja, das ist ein echter Monster von Film – aber eben auch ein verdammt gutes. Das Spiel mit den Perspektiven ist fantastisch!
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Oh ja, da kann ich dir nur zustimmen. Wird ja oft versucht, doch so kunstvoll wie hier habe ich es selten gesehen.
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