WM 2006 – Ein Land im Ausnahmezustand

Mich interessiert Fußball nicht – hat es noch nie. Daran ändert auch die WM 2006 nichts. Wird einem als fußballdesinteressierter Mann schon in normalen Zeiten kaum Verständnis entgegen gebracht, so muss man sich in diesen Tagen fast schon als Schwerverbrecher fühlen: Weil man sein Auto nicht mit unzähligen Deutschland-Flaggen schmückt. Weil man nicht bei jedem Tor laut gröhlend seine Sympathiebekundungen zeigt. Weil man nicht wegen der 478sten Marketingidee in Form eines fußballförmigen Toilettenreinigers völlig aus dem Häuschen ist.

Von Frauen dagegen wird – mag man den Medien Glauben schenken – fast schon ein Desinteresse erwartet. Allerdings ist anscheinend auch ein Großteil der weiblichen Bevölkerung dem Fußballwahn verfallen. Das wird anstandslos akzeptiert. Ist ja auch völlig in Ordnung. Warum nur das Unverständnis in die entgegengesetzte Richtung? „Was? Du schaust heute nicht Fußball? Aber du bist doch ein Mann!“ – Als wäre die diesbezügliche mediale Einflussnahme nicht schon genug. Ich traue mich ja kaum noch den Fernseher einzuschalten – beziehungsweise abzuschalten, denn die Gefahr ist zu groß mich aufgrund meines offen bekundeten Desinteresses wie ein Verräter zu fühlen.

Doch die WM hat auch für mich gute Seiten. Biergärten dürfen in dieser Ausnahmezeit bis 1 Uhr geöffnet sein. Bei dem – nun endlich – sonnigen Wetter eine feine Sache. Leider verlassen die WM-Fans nach dem letzten Abpfiff meist fluchtartig das Gelände, so dass man als Nicht-Fan wieder (fast) alleine dasitzt. Schön sind auch die verlängerten Ladenöffnungszeiten. Seltsam, dass so etwas nicht schon zuvor in Deutschland möglich war. Es muss doch wirklich immer erst Geld fließen. So nett diese – wenigstens kurzzeitige – Änderung auch für mich als Verbraucher auch ist, als Angestelter des Handels käme ich mir als Opfer des WM-Wahns etwas ausgenutzt vor – zumal die eigentlich sinnvollen längeren Öffnungszeiten bisher immer vehement verweigert wurden.

Ich bin ja kein Fußballfeind. Ich würde mir nur wünschen, wenn man mein Desinteresse respektieren würde. Wenn ich über eine neue DEATH CAB FOR CUTIE-Scheibe oder den neuesten Independant-Film aus dem Häuschen bin, straft man mich und diese Tatsache auch meist mit Desinteresse, wofür ich schließlich auch Verständnis aufbringe. Die Wichtigkeit von Ereignissen ist eben sehr subjektiv – und das sollte respektiert werden.

18 Gedanken zu “WM 2006 – Ein Land im Ausnahmezustand

  1. Ach komm, bei der EM ist es doch nicht annähernd so „schlimm“ (du darfst für dich die “ “ weglassen 😉 ), wie zur letzten WM, oder gar zur WM 2006 im eigenen Land. Das waren noch andere Kaliber.
    Du bist auf jeden Fall nicht der einzige Mann, den ich kenne, der kein Fußball schaut 😀 (Und ich guck jetzt Tschechien vs. Polen. 😉 )

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    • Ich finde es schon extrem nervig. Gestern waren wir z.B. auf einem Geburtstag und nahezu alle Männer (und teils Frauen) saßen ab 20:45 Uhr nur noch über ihren Smartphones und haben ihre Ticker gelesen – als gäbe es nichts Wichtigeres…

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  3. Mein Gott, das ist ja echt schon sechs Jahre her. Wahnsinn, wie schnell die Zeit vergeht.
    Ich als Fußball-Narr, wobei es da noch viel ärgere Exemplare gibt, habe mich natürlich über die WM gefreut, so wie ich mir auch heute noch jedes Spiel, wenn es mir möglich ist, einer WM oder EM im TV anschaue.

    Allerdings stimme ich mit dir überein, dass diese ganzen Deutschlandfahnen, die immer pünktlich zu Fußballgroßereignissen gehisst werden, echt nerven…

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    • Mich hat der ganze Trubel ja auch nicht gestört – solange man mich damit in Ruhe gelassen hat! Nee, ernsthaft: Sollen die Leute doch ihren Spaß damit haben, doch erbitte ich mir im Gegenzug eben auch Verständnis dafür, dass man selbst mit dem Trubel nur wenig bis gar nichts anfangen kann.

      Ich drück ja Leuten, die nur einmal im Jahr einen Film schauen auch keine Diskussion über die Vor- oder Nachteile der 48 fps HFR-Projektion von „Der Hobbit“ rein und wundere mich, dass die davon keine Ahnung haben… 😉

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      • Bei mir läuft sie in der Nähe, werde aber wohl darauf verzichten, da ich auf alles allergisch reagiere, was auch nur annähernd nach Video-Soap-Look aussieht. Wenn ich nicht ein paar begeisterte Kritiken aus meinem üblichen Bloggerumfeld lese, dann schaue ich lieber die 24 fps-Version.

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  4. Dieses Problem ist doch später anhand der Beschäftigung mit dem unfassbar kompetenzfreien WM-Tagebuch gelöst worden, oder? Kleiner Scherz. Aber ein schöner Text. Fußballförmige Toilettenreiniger sind aber eher unhandlich, wenn es unter den Rand gehen soll…

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    • Seit meinem passiven Konsumieren des unfassbar kompetenzfreien WM-Tagebuchs ist dieser Artikel eigentlich hinfällig, stimmt. Aber ich kann ja nicht einfach so meine Meinung ändern. Wie sähe das denn aus? 😉

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    • Stimmt. Ich glaube ganz so lange liest du mein Blog noch nicht. Überhaupt hatte ich in den Anfangsjahren nur sehr, sehr wenige Leser, was auch die fehlenden Kommentare erklären dürfte… 😉

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