Nachdem ich den gestrigen Abend mit Quentin Tarantinos „The Hateful Eight“ bereits in einem Schneesturm verbrachte, dachte ich, dass eine Besteigung des „Everest“ der naheliegende nächste Schritt sei. Von Baltasar Kormákur Bergsteigerdrama hatte ich im Vorfeld schon einiges gehört, wobei sich positive und negative Besprechungen ziemlich die Waage hielten. Insofern war ich sehr gespannt, was mich in den nächsten zwei Stunden erwarten würde…
Was die Berge als Setting angeht, so hat mich der Film damit schon fast immer auf seiner Seite. Egal ob „Cliffhanger“ oder „Vertical Limit“ – wenn die Kulisse stimmt, kann ich auch so manch inhaltliche Schwäche verzeihen. Mit „Everest“ nun also der Versuch eines realistischen Bergsteigerdramas – und was soll ich sagen? Der Film hat bei mir ziemlich gezündet. Die Dramaturgie wird dabei jedem x-beliebigen Katastrophenfilm entliehen, doch das macht nichts: Regisseur Baltasar Kormákur inszeniert sehr effizient und gibt eine hohe Taktung vor, ohne jedoch die Charaktere zu vernachlässigen. Ein Kritikpunkt, den ich häufig gelesen habe, war zum Beispiel, dass man die Figuren nicht unterscheiden könne, was ich absolut nicht nachvollziehen kann. Für mich wurden die Abenteurer mehr als ausreichend detailliert charakterisiert und waren selbst im größten Schneegestöber eindeutig identifizierbar.
Während der Vorstellung der Bergsteiger musste ich bei der Erwähnung des Namens Jon Krakauer aufhorchen. Das war doch der Autor, der die Vorlage „In die Wildnis: Allein nach Alaska“ zu Sean Penns grandiosem „Into the Wild“ geschrieben hatte. Ich überlegte, ob „Everest“ vielleicht sogar eine weitere Verfilmung eines von Krakauers Büchern sein könnte, doch musste ich nach ein wenig Recherche feststellen, dass sich der Autor sogar von dem Film distanziert hatte. Zu der Katastrophe sind neben Krakauers „In eisigen Höhen“ mehrere Bücher entstanden, welche die Ereignisse aufarbeiten und teils zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Wenn man den Produzenten des Films glauben mag, haben sie versucht eine möglichst neutrale Perspektive einzunehmen und sich an den belegbaren Fakten (z.B. dem damals aufgezeichneten Funkverkehr) orientiert. Wer sich für das Thema interessiert, für den ist die Wikipedia-Seite zum Unglück bestimmt ein guter Einstieg.
Was die Inszenierung angeht, so bedient sich Kormákur einer Mischung aus realen Aufnahmen, Sets und CGI. Diese Mischung funktioniert meist erstaunlich gut, nur in einzelnen Einstellungen ist der Greenscreen aufgrund von nicht perfekt gesetztem Licht deutlich erkennbar. Dies ist störend, kommt aber glücklicherweise nur selten vor und ist kein Vergleich zu den aus heutiger Sicht teils katastrophalen VFX in „Vertical Limit“, in denen man den Greenscreen förmlich vor sich sieht.
Alles in allem bin ich sehr zufrieden mit meinem bequemen Ausflug auf den „Everest“ von der Couch aus. Es gibt tolle Landschaftsaufnahmen, zu Herzen gehende Schicksale und unglaublich spannende Szenen: Ich hätte nach dem Film vermutlich auch eine Sauerstoffflasche gebrauchen können. Wer sich ein wenig für das Thema interessiert, der findet in Baltasar Kormákurs Film eine wirklich sehenswerte dramatische Umsetzung: 8/10 Punkte.