Victoria (2015)

Freitagabend, die Kinder um halb acht im Bett: Zeit für einen Film. Die Wahl fiel heute auf „Victoria“, der schon unglaublich lange auf meiner Liste steht. Nicht unbedingt weil der Film in den letzten Jahren unglaublich viel Presse aufgrund seines One-Take-Kniffs bekommen hat, sondern weil ich Sebastian Schippers Filme liebe. Speziell „Absolute Giganten“ trage ich sehr nah an meinem Herzen, doch auch „Ein Freund von mir“ ist äußerst sehenswert. Umso gespannter war ich auf sein jüngstes Werk…

victoria-2015

Ich war wirklich verblüfft, was für einen Sog „Victoria“ entwickelt. Und das bereits nach ein paar Minuten. Ebenso schnell hatte ich das One-Take-Konzept vergessen bzw. nur noch unterbewusst wahrgenommen. Die erste Stunde – vom Club über das Dach bis ins Café – war ich auch sicher einen neuen Lieblingsfilm zu sehen: Die Darsteller spielen erfrischend echt und die Dynamik zwischen ihnen funktioniert perfekt. Auch einen der großen Kritikpunkte (warum schließt sich Victoria der Gruppe an?) konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht nachvollziehen. Von allen Beteiligten, speziell Laia Costa und Frederick Lau, wirklich herausragend und glaubwürdig gespielt. Dann jedoch kam das zweite Drittel des Films…

Mir war bereits im Vorfeld bekannt, dass sich die Geschichte Richtung Gangsterfilm entwickeln würde. Somit war ich nicht überrascht, doch hat die Szene in der Tiefgarage auch einiges vom gefühltem Realismus genommen. Der Gangsterboss war zu sehr Gangsterboss. Die Lakaien zu sehr Lakaien. Dennoch war ich nach wie vor von der Atmosphäre und den Darstellern gefangen. Dies hat sich bis zum Bankraub fortgesetzt und ich mochte die Beiläufigkeit der Inszenierung sehr gerne: Man bleibt bei Victoria und der unmöglichen Situation, in der sie sich inzwischen befindet. Auch wenn die nun folgende Partyszene sehr unterhaltsam und wunderbar ungestüm ist, so war spätestens hier jeglicher zuvor aufgebaute Realismus verschwunden. Bei der nun folgenden Actionsequenz hatte mich der Film dann leider auch kurzzeitig verloren: So imposant die Leistung des Kameramanns auch ist, so unpassend fand ich die Schießerei im Kontext des Films. Hier wäre weniger für mich mehr gewesen.

Auch das überdramatische Finale wollte erst in der Schlusseinstellung bei mir zünden: Ich mochte Victorias erneute Zusammenführung mit der Realität, der Stadt und dem Tag. Alles davor scheint nur noch wie ein Alptraum, der als Erinnerung leider besser funktioniert als im eigentlichen Ablauf der Geschichte. So wunderbar ich das erste Kennenlernen von Victoria, Sonne, Boxer, Blinker und Fuß auch fand, so sehr hätte ich mir gewünscht, dass Sebastian Schipper im weiteren Verlauf eine kleinere und undramatischere Geschichte erzählt. Dann hätte „Victoria“ bei mir wohl auch richtig gezündet.

Insgesamt bin ich sehr froh diesen ungewöhnlichen Film endlich gesehen zu haben. Der One-Take-Ansatz ist kein Gimmick, sondern lässt uns viel intensiver in die Geschichte eintauchen. Selten hatte ich solch ein immersives Filmerlebnis. Leider wird es jedoch immer wieder durch mangelnden Realismus in der Handlung gebrochen. Da gingen für mich Inhalt und Form einfach nicht immer zusammen. Trotz meiner Kritikpunkte werde ich „Victoria“ in guter Erinnerung behalten und bewundere den Mut der Filmemacher ein solch außergewöhnliches Projekt auf die Beine zu stellen. Die große Liebe ist es jedoch leider nicht geworden: 8/10 Punkte.

40 Gedanken zu “Victoria (2015)

  1. Ich kann dir da nur zustimmen. Ich war fast schon enttäuscht als die Szene im Café vorbei war. Obwohl nicht viel passiert hätte ich mir ruhig länger dieses entspannte kennenlernen anschauen können. Das danach war dann zwar wirklich spannend aber aber die erste Hälfte war auch für mich stärker.

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    • Stimmt, das sehe ich tatsächlich ganz genauso. Ich hätte es lieber gesehen wenn es ruhiger weitergegangen wäre. Es hätte ja auch ein kleiner Einbruch sein können, bei dem dann nicht alle sterben. Dennoch ein mitreißender Film, der jedoch noch besser hätte sein können.

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  2. Für mich viel zu überbewertet. Insgesamt ein gewöhnlicher Berlin-Thriller, über den nur wegen seines Gimmicks, das völlig unnötig ist, geredet wurde. Ich war froh, als der Film nach 45 Minuten endlich anfing und hätte mir gewünscht, man hätte ihn von Anfang an auf 90 Minuten geschnitten.

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    • Das sehen wir ja wieder einmal komplett unterschiedlich: Ich fand gerade die ersten 45 Minuten fantastisch und hätte lieber beim Rest gekürzt. Zudem fand ich das „Gimmick“ großartig und essenziell für den Film.

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      • Naja, wie oft gehst du aus einem Film und denkst dir hinterher „Wäre besser gewesen, die hätten das in einer einzigen Einstellung gedreht“? Bzw. wäre der Film wirklich merklich schlechter, wenn er in 8-10 langen Plansequenzen gedreht worden wäre? Oder wenn es auch nur einen einzigen Schnitt an einer einzigen Stelle gegeben hätte? Für mich ist das One-Take-Prinzip nur angewandt worden, um Aufmerksamkeit auf einen Film zu lenken, den ansonsten keiner beachtet hätte.

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      • Natürlich hätte der Film auch mit ein paar Schnitten funktioniert. Aber was ist denn das für ein Argument? Da kann man ja jeden Film zerlegen und z.B. Malicks nicht-narrative Sequenzen als Gimmick bezeichnen. Ohne die hätte z.B. „Tree of Life“ auch (besser?) funktioniert. Klar wurde das One-Take-Prinzip bewusst gewählt und wird auch für Marketing-Zwecke eingesetzt. Ich bin allerdings auch davon überzeugt der Film hat dadurch gewonnen. Beweisen lässt sich so etwas natürlich schlecht… 😉

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      • Aber das kennt man ja von Schipper, er hatte ja zu „Ein Freund von mir“ ein ähnliches Brimborium veranstaltet als Daniel Brühl und Jürgen Vogel ins Guiness Buch der Rekorde wollten, indem sie innerhalb weniger Stunden auf möglichst vielen Premieren auftraten. Er scheint eben ein Gimmick-Gaul zu sein 😀

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      • Diese Aktion bei „Ein Freund von mir“ habe ich nicht einmal mitbekommen. Im Interview zu „Victoria“ sagt Schipper, dass er seinen One-Take-Film nicht im Guiness Buch der Rekorde sieht, eben weil es nicht um den One-Take geht, sondern um dessen Zusammenspiel mit der Geschichte. Jeder kann einfach längere One-Take-Filme produzieren. Ich fand „Victoria“ auch nicht perfekt, doch gerade der Sog des One-Takes ist meiner Meinung nach unbestreitbar.

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    • Stimmt, das sehen wir wirklich sehr ähnlich. Deine Beschreibung der „märchenhaften“ Logik finde ich übrigens auch sehr treffend. Passt nicht so ganz zum sonst so realistischen Anstrich. Insgesamt aber dennoch beeindruckend.

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  3. Man kann halt nur einen „Absolute Giganten“ fabrizieren.
    Ich muss mir „Victoria“ unbedingt nochmal anschauen. Ist jetzt doch schon eine Weile her und damals kam der Faktor große Leinwand und Kinoatmosphäre hinzu, was ja auch immer etwas faszinierender wirkt.

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  6. Ich kann den Punkt nachvollziehen – mir hat er besser gefallen als dir, das könnte aber auch daran liegen, dass ich ihn damals im Kino gesehen habe, und der Rausch des Films auf großer Leinwand vielleicht besser funktioniert. Rückblickend scheint mir meine damalige Reaktion auch etwas zu hoch angesetzt.

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    • Ja, im Kino mit großem Publikum ist das bestimmt noch etwas anderes. Eine Wirkung erzielt der Film auf jeden Fall. Ich bin auch schon gespannt wie er beim zweiten Mal funktioniert.

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