Everest (2015)

Nachdem ich den gestrigen Abend mit Quentin Tarantinos „The Hateful Eight“ bereits in einem Schneesturm verbrachte, dachte ich, dass eine Besteigung des „Everest“ der naheliegende nächste Schritt sei. Von Baltasar Kormákur Bergsteigerdrama hatte ich im Vorfeld schon einiges gehört, wobei sich positive und negative Besprechungen ziemlich die Waage hielten. Insofern war ich sehr gespannt, was mich in den nächsten zwei Stunden erwarten würde…

everest-2015

Was die Berge als Setting angeht, so hat mich der Film damit schon fast immer auf seiner Seite. Egal ob „Cliffhanger“ oder „Vertical Limit“ – wenn die Kulisse stimmt, kann ich auch so manch inhaltliche Schwäche verzeihen. Mit „Everest“ nun also der Versuch eines realistischen Bergsteigerdramas – und was soll ich sagen? Der Film hat bei mir ziemlich gezündet. Die Dramaturgie wird dabei jedem x-beliebigen Katastrophenfilm entliehen, doch das macht nichts: Regisseur Baltasar Kormákur inszeniert sehr effizient und gibt eine hohe Taktung vor, ohne jedoch die Charaktere zu vernachlässigen. Ein Kritikpunkt, den ich häufig gelesen habe, war zum Beispiel, dass man die Figuren nicht unterscheiden könne, was ich absolut nicht nachvollziehen kann. Für mich wurden die Abenteurer mehr als ausreichend detailliert charakterisiert und waren selbst im größten Schneegestöber eindeutig identifizierbar.

Während der Vorstellung der Bergsteiger musste ich bei der Erwähnung des Namens Jon Krakauer aufhorchen. Das war doch der Autor, der die Vorlage „In die Wildnis: Allein nach Alaska“ zu Sean Penns grandiosem „Into the Wild“ geschrieben hatte. Ich überlegte, ob „Everest“ vielleicht sogar eine weitere Verfilmung eines von Krakauers Büchern sein könnte, doch musste ich nach ein wenig Recherche feststellen, dass sich der Autor sogar von dem Film distanziert hatte. Zu der Katastrophe sind neben Krakauers „In eisigen Höhen“ mehrere Bücher entstanden, welche die Ereignisse aufarbeiten und teils zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Wenn man den Produzenten des Films glauben mag, haben sie versucht eine möglichst neutrale Perspektive einzunehmen und sich an den belegbaren Fakten (z.B. dem damals aufgezeichneten Funkverkehr) orientiert. Wer sich für das Thema interessiert, für den ist die Wikipedia-Seite zum Unglück bestimmt ein guter Einstieg.

Was die Inszenierung angeht, so bedient sich Kormákur einer Mischung aus realen Aufnahmen, Sets und CGI. Diese Mischung funktioniert meist erstaunlich gut, nur in einzelnen Einstellungen ist der Greenscreen aufgrund von nicht perfekt gesetztem Licht deutlich erkennbar. Dies ist störend, kommt aber glücklicherweise nur selten vor und ist kein Vergleich zu den aus heutiger Sicht teils katastrophalen VFX in „Vertical Limit“, in denen man den Greenscreen förmlich vor sich sieht.

Alles in allem bin ich sehr zufrieden mit meinem bequemen Ausflug auf den „Everest“ von der Couch aus. Es gibt tolle Landschaftsaufnahmen, zu Herzen gehende Schicksale und unglaublich spannende Szenen: Ich hätte nach dem Film vermutlich auch eine Sauerstoffflasche gebrauchen können. Wer sich ein wenig für das Thema interessiert, der findet in Baltasar Kormákurs Film eine wirklich sehenswerte dramatische Umsetzung: 8/10 Punkte.

36 Gedanken zu “Everest (2015)

  1. Dieses Wer-ist-Wer-Problem hab ich auch schon des Öfteren mal gehabt. Ich stelle mich dann meist selbst in Frage und unterstelle mir dann, dass ich unkonzentriert gucke….. Stimmt aber vermutlich gar nicht, sondern liegt an wirren Handlungen und hektischen Schnitten.
    Wo ich allerdings regelmäßig durchdrehe, sind asiatische Filme, die im Heute spielen. Alle in schwarzen Anzügen, mit dunklen Sonnenbrillen und identischer Frisur. Ob die Menschen in Asien uns genauso sehen…?

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    • Vermutlich ist es eine Kombination aus Konzentration und Übung. Ich hatte hier keine Probleme, da stets die Namen benutzt wurden und man die Charaktere bereits im Vorfeld ausführlich vorgestellt bekam. An wirren Handlungen oder Schnitten kann es bei diesem Film auf jeden Fall nicht gelegen haben… 😉

      Was das asiatische Kino angeht, so schaue ich dieses zu wenig, um eine Aussage treffen zu können. Bei Filmen von Wong Kar-Wai bot sich mir dieses Problem nicht.

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  2. Den fand ich damals im Kino auch richtig gut. Obwohl ich so viel mit Bergsteigen zu tun habe wie Reinhold Messner mit Kosmetikartikel, hat er mich so richtig fasziniert und gepackt. Sogar so sehr, dass ich mir von einer Kollegin das Krakauer Buch ausgeliehen und binnen 2 Tagen gelesen habe. Um ehrlich zu sein, verstehe ich nicht ganz, warum sich Krakauer von dem Film distanziert. Meiner Meinung nach wurde die Buchvorlage relativ gut (und den Fakten entsprechend) umgesetzt. Klar, ein bisschen Hollywood darf nicht fehlen. Aber insgesamt war das schon in Ordnung.

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    • Du wirst lachen: Ich habe mir das Buch heute auch gekauft und schon angefangen es zu lesen. Der Film hat mich wirklich nachhaltig beeindruckt. Krakauer hat sich wohl daran gestört, dass er nicht nach seiner Meinung gefragt wurde. Es wurde ja auch nicht sein Buch verfilmt, sondern die Geschichte aus anderen Perspektiven erzählt. Krakauer kommt ja auch nicht sonderlich gut weg, da er am Ende auch nicht noch einmal mit rausgeht, um die entkräfteten Bergsteiger mit ins Camp zu holen. Es wurden ja auch etliche Bücher über die Katastrophe geschrieben, doch Krakauers ist wohl so ziemlich das Standardwerk dazu.

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  3. Wie du mit Ma-Go ja schon eruiert hast liegt Krakauers Problem mit dem Film wohl – zumindest imho – wirklich daran, dass er nicht gut darin wegkommt. Weniger, weil er nicht nochmal aus dem Zelt rauswill, für mich war sein Verhalten kurz vor dem Aufstieg eher problematisch.

    Hier sind wir uns jedenfalls schon etwas näher wertungstechnisch, das ist doch schön 🙂

    Wenn du auf Bergsteiger-Filme stehst, kennst du dann schon TOUCHING THE VOID [Sturz ins Leere]? Der dürfte dir gefallen (sowohl Film als auch Buch). Leg ich dir wärmstens an Herz (zumindest eine Besprechung finde ich im Blog nicht).

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    • Ich fand eigentlich überhaupt nicht, dass er sonderlich schlecht wegkommt. Er ist eben der Journalist, der eben ein wenig da nachbohrt, wo es schmerzt und dabei eine Sonderrolle einnimmt. Aber ich will mir da auch gar kein Urteil erlauben. Zumindest lerne ich seine Perspektive nun auch durch das Buch kennen.

      „Sturz ins Leere“ will ich mir schon länger anschauen. Gibt es ja auch bei Amazon Prime, doch nur die deutsche Fassung. Die DVD liegt seit gestern wieder ganz oben im Warenkorb. Hole ich mir bestimmt demnächst – und wenn ich danach ebenso begeistert bin, vielleicht auch noch das Buch. Danke für den Tipp! 🙂

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      • Ich habe den Film damals im Kino gesehen, ist also etwas her, meine Erinnerung mag mich trügen, aber mir war so, dass als die Diskussion aufkam, den Aufstieg der beiden Gruppen abzubrechen weil durch die Menge an Personen der Abstieg zeitlich kritisch nach hinten verschoben würde, hätte der Film-Krakauer da ziemlich gedrängt und glaube ich auch seinen eigenen Gipfelsturm vor den bereits erkennbaren körperlichen Beschwerden von John Hawkes‘ Figur gestellt hätte. Letzterer wurde ja auf eigenen Wunsch letztlich „mitgeschleppt“ und hat dann u.a. das Ableben von Clarkes Figur mitverschuldet.

        Das Buch zu Sturz ins Leere geht – natürlich – etwas mehr ins Detail, aber hinsichtlich Buchadaptionen ist die Dokumentation schon überaus gelungen, auch dank ihres tollen Protagonisten und starken Re-enactments.

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      • So wie ich mich an den Film erinnere, war Krakauer auch in diesem als erster von Rob Halls Team auf dem Gipfel. Doug Hansen (John Hawkes) hat er höchsten beim Abstieg noch einmal gesehen, wenn überhaupt. Ich meine mich zu erinnern, dass dessen und Rob Halls verzögerter Aufstiegt komplett ohne Krakauer vonstatten gegangen ist, der zu dem Zeitpunkt ja schon wieder seit einigen Stunden auf dem Weg nach unten war. Im Film hat man ihn ja öfter mal alleine beim Abstieg gezeigt, was teils so gewirkt haben mag, dass er die anderen im Stich gelassen hat.

        Bei „Sturz ins Leere“ werde ich mir zunächst auch die Doku anschauen. Bin ja im Moment noch voll und ganz mit Krakauers „In eisige Höhen“ beschäftigt und sehr fasziniert davon.

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  5. Joa, der war ganz gut gemacht. Manche Einstellungen waren mehr als nett anzusehen – trotz CGI. Mich ärgert allerdings noch immer das Verpulvern von Jake Gyllenhaal. Der kam mir etwas zu kurz. Dafür konnte Jason Clarke punkten, der mir vorher nie so als Sympathieträger aufgefallen ist. Hier glücklicherweise umso mehr.

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    • Ja, Jake Gyllenhaals Anteil am Film war leider eher klein. Man hat sich hier eben mehr auf die Rob-Hall-Expedition konzentriert. Dennoch fand ich seine Rolle gut und wichtig, entspricht sie doch im Weitesten dem, was man über den realen Scott Fischer sagen kann – zumindest wenn man den Berichten Glauben schenken mag.

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