Prisoners (2013)

Nach einer kurzen Nacht und einem noch längeren Tag hat der entspannte Teil des Abends eigentlich viel zu spät begonnen, um noch einen Film zu schauen. Dennoch wollte ich endlich den viel gelobten „Prisoners“ sehen, was mit einer Laufzeit von über 150 Minuten ein gewagtes Unterfangen war. Um 23:30 Uhr saßen meine Frau und ich schließlich wie gebannt vor dem Fernseher und mussten das Gesehe erst einmal verdauen. Ein besseres Zeichen kann es für einen gelungenen Film wohl nicht geben – doch lest selbst die spoilerfreie Besprechung…

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Glücklicherweise wusste ich zuvor kaum etwas über den Film, außer seiner groben Prämisse und dass er eben sehr gelungen sein soll. Ich bin jemand, der bei mehr oder weniger klassischen Whodunits beständig am Rätseln ist – und meist treffen meine Theorien dann auch ziemlich früh ins Schwarze. Auch bei „Prisoners“ hatte ich mir mehrmals eingebildet, den Film durchschaut zu haben. Fehlanzeige. Aaron Guzikowskis Drehbuch wartet mit etlichen Wendungen auf, die ich meist nur mit kurzem Vorsprung erkennt hatte – wenn überhaupt. Äußerst angenehm fand ich zudem Denis Villeneuves zurückgenommene Inszenierung, die den Schauspielern und den von Kameramann Roger A. Deakins‘ wunderbar trostlos eingefangenen Bildern entsprechend viel Freiraum gibt. Die letzte große Wendung, mag man sie als solche bezeichnen, wird zudem völlig nebenbei und im Sinne der Geschichte erzählt. Keine Effekte, kein Tusch, kein erzwungener Aha!-Effekt. Nur die Emotionen der Charaktere. Großartig!

Ich habe schon lange keinen Film mehr gesehen, bei dem ich unter solch konstanter Spannung stand. Dabei gibt es kaum Actionszenen oder Schockmomente. Der Film ist stets sehr nah an seinen Figuren dran und lässt uns Zuschauer an ihrer Innenwelt teilhaben, ohne jedoch jeden Gedanken auszuformulieren. Themen wie Glaube, Determinismus, Selbstjustiz und Schuld bestimmen die kargen Bilder, doch gibt „Prisoners“ weder seinen Figuren noch uns Zuschauern eindeutige Lösungsansätze an die Hand. Einzig das oft wiederholte Zitat ‚Pray for the best, but prepare for the worst.‘ scheint stellvertretend für den gesamten Film zu stehen und hat mich beinahe über die gesamte Laufzeit an der Sofakante sitzen lassen.

Da ich nicht mehr zum Inhalt verraten möchte – schaut euch den Film einfach selbst an! –, bleibt mir nur noch seine formalen Aspekte, die großartigen Schauspieler und das packende Drehbuch zu loben. Obwohl, oder gerade weil, die Geschichte sehr langsam erzählt wird, entfaltet sie einen Sog, dem ich mich nur schwer entziehen konnte. Solltet ihr dieses Jahr nur einen Thriller schauen, dann legt „Prisoners“ in den Player – ihr werdet es nicht bereuen: 9/10 Punkte.

43 Gedanken zu “Prisoners (2013)

  1. Bullion, wir sind uns wieder einmal komplett einig! Einig, was die Wirkung des Films, dessen Faszination und Stärken anbelangt, einig dahingehend, dass wenn man sich nur einen Thriller anschauen sollte, dann doch bitte auf jeden Fall diesem den Vorzug geben sollte und einig darin, dass ‚Prisoners‘ vor allem auch großes Schauspielkino ist und die Darsteller ihre Stärken entfalten dürfen wie selten. Ich freue mich gerade richtiggehend für dich, dass du endlich dazu gekommen bist, dieses Kleinod zu schauen und dass es dir – erwartungsgemäß – genauso gut gefallen hat wie mir!

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    • Ich erinnere mich dunkel daran zumindest dein Fazit gelesen zu haben (gerade noch einmal kontrolliert). Auf jeden Fall gut, dass ich Spoiler gemieden hatte, denn so war die Wirkung des Films wahrlich unvergleichlich. Der eine Punkt zur 10 fehlt übrigens nur, weil ich befürchte dass die Geschichte mit Kenntnis ihres Ausgangs nicht mehr ganz so packend ist. Werde ich aber bestimmt irgendwann überprüfen. Ansonsten sind wir eindeutig einer Meinung und ich habe soeben Villeneuves „Enemy“ (ebenfalls mit Jake Gyllenhaal) auf meine Liste gesetzt… 🙂

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      • Naja Spoiler gibt es in meinen Artikeln ja ganz bewusst nicht, aber speziell bei ‚Prisoners‘ hast du Recht, dass im Grunde jedes Fitzelchen Information im Vorfeld zu viel ist. Ich denke auch, dass die Wirkung bei einer Zweitsichtung sicher nicht mehr dieselbe ist, aber auch da bin ich gespannt, inwieweit man nicht noch Hinweise und Andeutungen erkennt, die man zuvor übersehen hat. ‚Enemy‘ steht selbstverständlich ebenfalls schon auf meiner Liste 😉

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      • Da der Twist bzw. die bedächtige Entwicklung der Geschichte nicht auf einen größtmöglichen Effekt hin inszeniert wurden, kann der Film aufgrund der dichten Atmosphäre und der erschütternden Geschichte beim zweiten Mal evtl. genauso gut funktionieren. Ich hoffe es auf jeden Fall und würd dann auch ohne zu zögern die 10 Punkte zücken.

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  3. Ich fand den auch richtig gut! So viel Spannung habe ich das das letzte Mal bei „Das Schweigen der Lämmer“ verspürt. Oder vielleicht bei Gone Baby Gone!

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  4. „Prisoners“ hat mich damals im Kino leider vollkommen kalt gelassen. Abgesehen von Jake Gyllenhaals Cop konnte ich dem Thriller kaum was abgewinnen und diese Spannung von der du berichtest, konnte ich, warum auch immer, nicht nachvollziehen. Ärgert mich richtig, denn handwerklich ist der Film richtig stark.
    Aber was soll man machen…? Schön dass er bei dir so großen Eindruck schinden konnte, bullion! 😉

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    • Bei mir hat der Film vermutlich auch deshalb noch einmal stärker gewirkt, da ich selbst Vater bin und mich Geschichten um Kindesentführen sowieso sehr stark emotional packen. Anders gesagt: Bei mir waren alle Knöpfe vorhanden, die der Film zu drücken versucht hat… 😉

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  5. Die einzige Schwäche in der so kühlen, ach was kalten Atmosphäre in diesem unerbittlichen (Psycho?-)Thriller, waren im Grunde die Frauenfiguren. Jackman und Gyllenhaal hingegen haben die perfekte Charaktergrundlage und die notwendige Portion Talent, um alles aus ihren Rollen herauszuholen. Wunderbar ist natürlich auch, dass die Protagonisten allesamt in ihre eigenen seelischen Abgründe blicken müssen und diesen Trieben auch nachgeben müssen – hier ist jeder ein Gefangener seines inneren Bösen.

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    • Ja, die Frauenfiguren spielen eher am Rande, keine Frage. Dennoch fand ich zumindest Nancy Birch, die Mutter der anderen Tochter, interessant ausgelegt, hat sie doch Keller Dovers Methoden eher unterstützt, als ihr Mann. Ich denke auch, dass der Titel eher auf das Gefängnis der eigenen Abgründe bzw. seelischen Wunden anspielt, als auf die tatsächliche Gefangenschaft. Das macht den Film auch gerade so gut.

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    • Ich habe deine Kritik gestern noch gelesen. Für mich haben die Wendungen bzw. angedeuteten Red Herrings deutlich besser funktioniert, da alles immer noch ein rundes Gesamtbild ergeben hat. Zusammen mit der emotionalen Komponente wirklich ein starkes Stück Kino. Deine 6.5 Punkte sprechen ja in gewisser Weise auch für den Film… 😉

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  6. Jaaaa… „Prisoners“ ist wirklich ein verdammt guter Thriller!!! Der hat mich damals im Kino echt total umgehauen!!!

    Ich kann auch nur Villeneuves neuen FIlm „Enemy“ empfehlen. Der muss allerdings aufgrund seiner merkwürdigen Story mehrmals geguckt werden… ist aber wirklich sehr interessant!!!

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  7. Mir ist gerade mit Schrecken aufgefallen, dass ich den Film, als ich ihn vor gut vier Monaten endlich angesehen hatte, gar nicht besprochen habe… Ich habe ihn nur bei meinem Review von „Enemy“ (http://singendelehrerin.wordpress.com/2014/03/31/fff-nights-enemy-denis-villeneuve-kanadaspanien-2013/) erwähnt.Verflixt! Ich habe ihn aber ähnlich empfunden wie du, ein unglaublich packender Film, der das Thema „Selbstjustiz“ (u.a.) mal ganz anders aufgreift als so oft in amerikanischen Filmen! Ich kann ja mit klassischen Selbstjustiz-Filmen meistens gar nichts anfangen, „Prisoners“ ist ein ganz anderer Fall!

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    • Deine Besprechung von „Enemy“ senkt meine Erwartungen wieder etwas, zumal ich vermute, dass wir zumindest „Prisoners“ ähnlich wahrgenommen haben. Mit Selbstjustiz habe ich auch immer so meine Probleme, doch hier stand ja nicht der Actiongedanke im Vordergrund, sondern eher die pychologische Ebene – und das war schon richtig, richtig gut gemacht!

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  10. Ja, „Prisoners“ ist wirklich ein großartiger Film! Und als so vorhersehbar, wie einige sagen, hab ich ihn keineswegs empfunden – ich war zum Ende hin eher überrascht von der ganzen Geschichte. Endlich mal wieder ein guter Thriller!

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    • Ich empfand ihn auch nicht als vorhersehbar. Mich haben die Wendungen sogar ziemlich überrascht – und das obwohl ich normalerweise jeden Twist auf Meilen rieche. Insofern ein voller Erfolg und ein erstklassiger Thriller! Da kann ich dir nur zustimmen… 🙂

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  11. Prisoners gefiel mir so gut, dass er sogar zu meinen persönlichen Jahreshighlights zählte, die leider viel zu wenig Aufmerksamkeit bekamen. Vor allem die Hauptdarsteller und diese düstere Atmosphäre haben den Film wunderbar beklemmend gestaltet. So geht Thriller – so wünsche ich mir das. Und noch dazu diese herrlich strittige Moralfrage, super 🙂

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    • Sehe ich ebenso. Allerdings kann ich nicht sagen, ob der Film viel Aufmerksamkeit bekommen hat oder nicht, da ich mein Filmwissen allein aus Blogs ziehe und dort wurde der Film durchaus häufig besprochen. Mir scheint, dass ich mir selbst zu meiner Medienwahl gratulieren darf… 😉

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