Mr. Nobody – Director’s Cut (2010)

Manche Filme üben bereits vor der Sichtung eine enorme Faszination auf mich aus. Als ich das erste Mal von „Mr. Nobody“ las, war ich von der Grundidee fasziniert. Jedoch hat mich die Arthouse-Ecke abgeschreckt, aus der der Film zu kommen schien. Lange bin ich um die Blu-ray herumgeschlichen, bevor ich mich zu einem Kauf durchringen konnte und noch länger habe ich gezögert, bis ich mich schließlich zu einer Sichtung hinreißen ließ. Während dieser Wartezeit habe ich eine ziemlich genaue Vorstellung des Films entwickelt. Ob es dieser auch nur annähernd gelang an die Realität heranzureichen?

Die Handlung des Films in Worte zu fassen würde ihm nicht gerecht werden. Dennoch möchte ich es versuchen: In ferner Zukunft erinnert sich der letzte sterbliche Mensch (Jared Leto) an sein Leben. Dabei beschränkt er sich jedoch nicht auf sein tatsächlich gelebtes Leben, sondern bezieht jede Entscheidung samt daraus resultierender Konsequenz mit in seine Geschichte mit ein. Da aus unzähligen Entscheidungen auch unzählige mögliche Zeitstränge entstehen würden, stellt der Film exemplarisch drei Beziehungen in den Vordergrund, die jedoch wiederum erneut unzählige Entscheidungsmöglichkeiten bieten. Am Ende des Films gibt es noch einen Twist, der die teils seltsam anmutenden Handlungselemente erklärt und dem Kaleidoskop an Geschichten einen beinahe schon profanen Sinn gibt. Bis dahin bietet „Mr. Nobody“ jedoch einen audiovisuellen Rausch, der seinesgleichen sucht…

Man hat ja oft das Gefühl, dass der Filmbranche nichts mehr Neues einfällt. Der dutzende Superheldenfilm, ein weiteres Remake, das nächste Prequel und – wenn den Produzenten gar nichts mehr einfällt – ein Reboot. Die immer gleichen Bilder, die immer gleichen Geschichten. Im Kontrast dazu steht sperriges und sprödes Arthouse-Kino und nur selten, ganz selten darf man einen Film bewundern, der die Grenzen sprengt und sich in keine Schublade einordnen lässt. Jaco Van Dormaels „Mr. Nobody“ gehört zweifellos zu dieser seltenen Gruppe von Filmen. Bereits in der ersten halben Stunde gibt es mehr zu bestaunen, als andere Filme über die gesamte Laufzeit zeigen. Sowohl inhaltlich als auch formal überrascht der Film stets aufs Neue und auch wenn er aufgrund seiner Struktur nicht wirklich einfach zu rezipieren ist, so belohnt er die Anstrengungen des Zuschauers doch stets mit ergreifenden Einzelszenen und wunderschönen Momentaufnahmen.

Auch wenn es anfangs den Anschein macht, so ist der Film in letzter Konsequenz nicht sonderlich schwer zu verstehen. Ein Entscheidungsbaum wird filmisch abgebildet, in den Zufall, Schicksal, wissenschaftliche Erklärungen usw. mit aufgenommen werden. Eingebettet werden diese unzähligen Möglichkeiten des Lebens in eine Sci-Fi-Rahmenhandlung, die befremdlich wirken mag, doch letztendlich durchaus Sinn ergibt. Man sollte sich sowieso nicht darauf versteifen jede einzelne Szene des Films in das große Ganze einordnen zu können, sondern lieber die Bilder, den Score bzw. Soundtrack und die Emotionen auf sich wirken lassen. Dann kann die Sichtung von „Mr. Nobody“ zu einem wirklich großen Filmerlebnis werden.

Ob ich den Film uneingeschränkt empfehlen kann? Vielleicht nicht für jeden. Filmfreunde, die nach neuen Erfahrungen suchen, sollten auf jeden Fall einmal reinschauen. Ich selbst war nach einer zuvor nahezu schlaflosen Nacht vor der Sichtung recht müde und wurde dennoch mitgerissen. Vermutlich muss jeder selbst entscheiden, was er aus „Mr. Nobody“ mitnehmen möchte. Wenn dieses Kaleidoskop des Lebens tatsächlich zu einem durchdringt, dann wird der Film definitiv nachwirken. Großartig anders: 9/10 Punkte.

36 Gedanken zu “Mr. Nobody – Director’s Cut (2010)

  1. Na da gleichen sich unsere Eindrücke ja wieder einmal auf beinahe erstaunliche Weise. Mich hat der Film ja ebenso mitgerissen, aber dass er sicherlich nicht für jeden zu empfehlen ist, stimmt ebenfalls, wenn ich mich an die Schmährede meiner Freundin erinnere, die ja generell dem Spiel mit Zeit- und Realitätsebenen eher abgeneigt ist.

    Der Film ist aber definitiv ein Erlebnis und hebt sich wahrlich wohltuend vom Hollywood-Einheitsbrei ab!

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    • Ist wirklich lustig, wie sich unsere Eindrücke decken. Zitat meiner Frau nach dem Film übrigens: „Das waren die längsten zweieinhalb Stunden meines Lebens.“ 😀

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      • Okay, DAS ist wirklich unheimlich 😉
        Ich versuche dann ja immer noch, die Vorzüge des Films zu preisen und auf die vielen tollen Dinge hinzuweisen, aber irgendwie beiße ich da immer auf Granit…

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      • Versuche ich auch, aber – wie auch bei dir – ist das meist hoffnungslos. Doch immerhin liegen wir meist schon auf einer Wellenlänge was Filme und besonders Serien angeht, sonst wäre es wirklich schwer irgendwann allein die Zeit zu finden, um dem Medienkonsum zu frönen… 😉

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  2. Pingback: Mr. Nobody (Film)

  3. Neben den zweifellos exemplarisch wunderbar geschilderten Gedanken zum Film, die alle zutreffend sind, frage ich mich allerdings, warum man das Arthouse-Kino verschmäht? Gerade dieser Bereich gibt doch in der drögen Welt der momentanen Filmindustrie die wahren Perlen. Grüße.

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    • Verschmähen ist das falsche Wort. Ich finde Arthouse-Kino oft nur so gewollt anstrengend und spröde inszeniert. Die Geschichten sind meist die interessanteren, keine Frage. Dennoch möchte ich vom Kino in erster Linie unterhalten werden und in dieser Hinsicht hat mich das sogenannte Arthouse-Kino schon zu oft enttäuscht. War aber wohl tatsächlich zu hart ausgedrückt…

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    • Ich habe mich ja auch lange vor einer Sichtung gedrückt, doch es hat sich gelohnt. Kann ich nur empfehlen und bin schon gespannt deine Eindrücke nach dem Film zu lesen!

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      • Da schließe ich mich direkt an, denn gerade bei solch einem Film macht es immer eine Menge Spaß, die Eindrücke Anderer zu lesen!

        Aber ich glaube jeder hat so Leichen im Regal, so wie ich mich ja auch ewig vor „Die Ermordung des Jesse James …“ gedrückt habe.

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      • Auch bei mir gibt es unzählige Filme vor denen ich mich immer noch drücke (z.B. nahezu alle Werke von Darren Aronofsky), doch irgendwie muss das ja auch so sein, denn alles kann man ja ohnehin nicht sehen. Zeit und so.

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  4. Hört man auch nur Gutes von, dennoch bisher noch nicht um eine Sichtung gekümmert (vielleicht weil es mich irgendwie auch stets an Benjamin Button erinnert). Aber wenn es ein Bilderrausch ist, dann sowieso nur auf Blu-Ray und die müsste ich kaufen, weil meine Videothek den nicht in dem Format führt. Und Blu-Rays kauf ich eigentlich nur sehr, sehr selten. Was ein Dilemma 😀

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    • Die Blu-ray gibt es schon sehr günstig und lohnt sich auf jeden Fall. Der Film ist ganz anders als Benjamin Button, den ich dennoch auch mochte – wie du auch, wenn ich mich recht entsinne. Motive sind sicher ähnlich, doch ist „Mr. Nobody“ eher die Collage eines Lebens und seiner Möglichkeiten. Bin mir fast sicher, dass dir der Film gefällt. Kann mich aber auch täuschen, da er neben seiner formalen Kraft auch starkt auf Emotionen setzt.

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      • Bis dahin bietet “Mr. Nobody” jedoch einen audiovisuellen Rausch, der seinesgleichen sucht…(…) Bereits in der ersten halben Stunde gibt es mehr zu bestaunen, als andere Filme über die gesamte Laufzeit zeigen.

        Nein. Nein. Nun gesehen und für schlecht bzw. zumindest enttäuschend befunden. Konnte mich so gar nicht faszinieren und wäre das eine TV-Ausstrahlung und keine für Geld ausgeliehene DVD gewesen, hätte ich auch spätestens ab der Hälfte abgeschaltet. Keine einzige der Handlungsstränge hat mich wirklich interessiert, der stillose Klau aus den Soundtracks anderer Filme (von The Thin Red Line über Back to the Future bis hin zu Fight Club) wirkte deplatziert und der Film in seiner Summe trotz zumindest ansprechender Effekte schlichtweg belanglos, profan und nichtssagend. Mehr als zwei Stunden und 4€ meines Lebens, die ich nicht mehr wiederkriegen werde. Soviel zu Entscheidungstreffungen 😉

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      • Ohje, das war für dich dann ja ein kompletter Reinfall. Schade, denn ich habe den Film auch noch Wochen nach der Sichtung bestens in Erinnerung. Die einzelnen Handlungsstränge für sich genommen sind natürlich recht profan und es ist eher die Montage und die emotionale Verwebung der Geschichte, die den Film in meinen Augen so sehenswert macht.

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  5. Mich wundert das ja irgendwie, die Arthouse-Ecke ist für mich eher Magnet als Abschreckung, ich mag schräge Filme abseits vom Hollywood-Mainstream sehr gerne. Mr. Nobody kenne ich noch nicht, danke für die Vorstellung! 🙂

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    • Wie gesagt sind mir Arthouse-Filme teils zu übertrieben künstlerisch inszeniert oder geschrieben, ohne dass dies für die Geschichte nötig wäre. Kann man natürlich nicht pauschalisieren, doch ist dies oft leider mein Eindruck. Dieser Film dagegen war wirklich erfrischend anders und dennoch unterhaltsam.

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  6. Ich konnte mich nach der Sichtung (locker ein Jahr her) damals beim besten Willen NICHT entscheiden, ob ich den Film gut, großartig, oder total daneben finde. Irgendwie traf für mich alles ein bisschen zu. Gut und teils großartig (Inszenierung gut, Story/Idee großartig) haben zwar den Film über eher überwogen, aber das Ende war dann wieder nicht so ganz mein Fall…
    Aber soweit ich mich erinnern kann großartiger Soundtrack, und der erste Film, in dem mir Diane (Heid)Kru(e)ger 😉 nicht vollkommen auf den Senkel ging und ich sie sogar halbwegs gut fand 😀

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    • Ich kann verstehen, wenn man so seine Probleme mit dem Film hat. Das Ende fand ich auch zwiespältig: Einerseits mochte ich die Erklärung, dass alles der Fantasie eines Kindes entspringt und somit auch die seltsame Engelsequenz sowie die Marsreise und die satirischen Elemente in der Zukunft erklärt werden können. Andererseits war mir die Erklärung für all das Gesehene irgendwie zu simpel. Letztendlich hat es aber Sinn gemacht und es ist ja dennoch nur ein Teilaspekt des Films. Diane Krueger fand ich übrigens auch gut. Finde sie aber eh nicht so schrecklich, wie viele andere…

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  7. Pingback: Media Monday #56 | Tonight is gonna be a large one.

  8. Ich habe grade mal nachgeschaut, den Film habe ich am 3.8.2011 gekauft und seitdem steht er im Regal. Konnte mich bisher noch nicht dazu durchringen, irgendwie muß ich zum Schauen solcher Filme in der richtigen Stimmung sein. Ich glaube ich leg den heute Abend einfach mal rein…

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    • Ja, mach das mal und berichte danach doch kurz, wie dir der Film gefallen hat. Mir ging es ja ähnlich und ich war zudem nicht einmal in der richtigen Stimmung, doch der Film hat gezündet. Viel Spaß bei der Sichtung!

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      • Gestern fand der DC dann auch mal endlich den Weg in meinen Player. Kurz zusammengefasst fand ich den Film doch eher öde, so richtig gepackt hat mich die Story mit den alternativen Handlungen nicht. Visuell gab es in 155 Minuten schon das ein oder andere Highlight (Bikes in Space), ist aber dennoch kein Vergleich z.B. zu „Tree of Life“. Schade, habe mir beim Anschauen dauernd gewünscht das mal ein Überraschungs- oder Schockmoment die Handlung aufwühlt, doch bis auf die eher kleine „Auflösung“ am Ende kam mir da zu wenig.

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      • Schade, doch so ist das eben bei manchen Filmen. Man kann ja nicht immer von allem begeistert sein. „Tree of Life“ habe ich bisher noch nicht gesehen, doch wenn der Film in eine ähnliche Richtung geht, dann sollte ich wohl einmal reinschauen.

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  9. Hm, die „Aufloesung“ mit dem Traum des 9-Jaehrigen ist nur eine moegliche Loesung. Je nachdem wie man es vorzieht, kann man auch Sci-Fi (Big Crunch) oder Fantasy (Engel) als Erklaerung ansehen.

    Auch ich weiss noch nicht, ob ich ihn mag oder nicht. Aber beeindruckend und anders war der Film. Und ja, der Soundtrack ist toll.

    Was ist denn der Unterschied des DC zum regulaeren Film?

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    • Das Voice-over zum Tagtraum fand ich schon recht eindeutig, doch natürlich bietet der Film mehrere Erklärungsmöglichkeiten und umspannt mehrere Themengebiete.

      Soweit ich weiß soll der DC den Sci-Fi-Aspekt stärker hervorheben. Einfach mal in den Schnittbericht reinschauen…

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  10. Einer meiner absoluten Lieblingsfilme der letzten Jahre, vor allem weil er mich so überrascht hat. Bei mir ist die Sichtung aber schon länger als ein Jahr her, aber trotzdem ist der Film wie ein kleine Schatztruhe. Er verbindet viele Elemente. Einerseits gibt es die Liebesgeschichte, es gibt die Sci-Fi Elemente und er regt zum Nachdenken an und ist wie ein buntes Puzzle mit tollen Bilder und Musik, dass im Laufe des Films zusammengesetzt wird. Auch wenn der Film lange dauert, hat er mich nie gelangweilt, sondern eher fasziniert, wie große und kleine Entscheidungen unser Leben beeinflussen können. Ich mag solche Filme, die man eher aus „Versehen“ sieht und dann einen einfach komplett überraschen.

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    • Okay, anscheinend war „Prometheus“ tatsächlich eine Ausnahme. Hier kann ich deine Eindrücke auch nur wieder unterschreiben. Eine wahre Wundertüte von einem Film – und dennoch hätte ich gerade mehr Lust mir noch einmal Ridley Scotts Werk anzusehen… 😉

      (Welch unpassender Vergleich, ich weiß…)

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  12. Pingback: Mr. Nobody (2009) | Film-Blogosphäre

  13. Eine sehr schöne Besprechung!! Und ich freue mich, dass es nicht nur mir so geht mit diesem Meisterwerk … Das Gefühl, dass der Filmbranche nichts mehr Neues einfallen will beschleicht mich auch schon seit einer ganzen Weile und ich hab die Superheldenfilme, Remakes, Prequels und vor allem die Superhelden-Remake-Prequels schon so satt!!… Und genau darum war „Mr. Nobody“ soooo erfrischend! Hach … Ich möchte ihn gleich nochmal sehen. Vielleicht mach ich das auch … ich hab nämlich erst später entdeckt, dass der Director’s Cut auf der Blu-ray drauf ist … verdammt!

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    • Ja, irgendwie seltsam, dass der Film so relativ untergegangen ist. Aber die meisten wollen eben tatsächlich „Iron Man 28“ oder das x-te „Spider-Man“-Reboot sehen. Naja, wie auch immer. Solange Filme, wie „Mr. Nobody“ oder „Cloud Atlas“ (geht finde ich in eine ähnliche Richtung) produziert werden, soll es mir recht sein.

      Ich habe ja den Director’s Cut gesehen und mochte keine Minute missen – insofern hast du auf jeden Fall einen Ansporn zeitnah noch einmal reinzuschauen… 😉

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