Drive (2011)

Damit habe ich ihn nun auch endlich gesehen: den Filmhype des letzten Jahres. Erwartungen wurden geschürt, Versprechungen gemacht und Ängste heraufbeschworen. Ist Nicolas Winding Refns „Drive“ für den wahren Cineasten also tatsächlich das bedeutendste Werk des laufenden – bzw. des vergangenen – Filmjahres? Seid gespannt und lest mit Bedacht, denn Spoiler sind zu erwarten.

Zunächst einmal muss ich Folgendes festhalten: Ich wünschte im Vorfeld weniger über den Film gelesen zu haben. So wusste ich bereits von der bedächtigen Inszenierung, den 80er Jahre-Anklängen und den eruptiven Gewaltszenen. Darauf basierend hat sich bei mir nicht nur eine entsprechende Erwartungshaltung geformt, mir wurden auch einige Überraschungen genommen. Es kann somit durchaus sein, dass man als völlig uninformierter Zuschauer mehr aus dem Film mitnimmt – doch einmal ehrlich: Welcher Filmfreund kann sich in unserer heutigen Zeit noch völlig unbeeinflusst einen Film ansehen?

Trotz dieses Vorwissens hat mich die erste Stunde des Films vollständig begeistert. Kamera, Licht, Soundtrack und Schauspiel bildeten eine formale Symbiose, wie ich sie in den letzten Jahren selten erlebt habe. Artifiziell ohne zu künstlich zu wirken, langsam ohne langweilig zu sein. Kaum Dialoge, kaum Action und dennoch erstaunlich viel Charakter. Trotz Arthouse-Anleihen wirkte der Film zu keiner Sekunde zu gekünstelt. In diesen ruhigen und von unbeholfenen Begegnungen geprägten Szenen, hat mich die Atmosphäre von „Drive“ teils an Wong Kar-Wais („Chungking Express“) frühe Filme erinnert, die ebenso wie Refns Werk neonbunte Bilder und nächtliche Begegnungen gestrandeter Existenzen zeigen.

Interessant fand ich übrigens, dass Refn häufig zuerst die Reaktion seiner Figuren auf ein Ereignis zeigt und erst danach das Ereignis selbst. Dies verstärkt die emotionale Distanz, die man zu den Charakteren hat, da man ihre Emotionen nicht unmittelbar teilen kann und sich somit zunächst in der Rolle des Beobachters wiederfindet. Ein Kniff, den ich noch in keinem anderen Film so bewusst wahrgenommen habe.

Nach der wirklich fantastischen ersten Stunde, beginnt der Film seinen Schwerpunkt auf das Vorantreiben der Handlung zu verlagern. Die Dialogdichte nimmt zu, Zusammenhänge werden erklärt und die Gewalt eskaliert. In diesem Teil des Films merkt man leider, dass die formalen Aspekte – und das meine ich nicht einmal negativ – den inhaltlichen meilenweit voraus sind. Die Dialoge wirken abgegriffen, die Geschichte wurde bereits tausend Mal erzählt und die Gewaltspitzen wirken größtenteils einfach nur aufgesetzt. Das letzte Drittel des Films ist nicht schlecht, doch im Vergleich zum vorher Gesehenen leider recht konventionell und durchschaubar.

Was also bleibt vom Hype um „Drive“ letztendlich übrig? Man sollte den Film auf jeden Fall gesehen haben. Wie versprochen ist er tatsächlich hypnotisch und gewiss einer der formal beeindruckendsten Filme der letzten Jahre. Im letzten Drittel hat er für mich allerdings einiges verspielt, was im Hinblick auf seine zuvor präsentierten Stärken wirklich schade ist. Auch wenn ich nun härter mit dem Film ins Gericht gegangen bin, als die meisten Filmfreunde, so soll dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich ihn wirklich sehr, sehr gut fand – nur eben nicht perfekt: 8/10 Punkte.

23 Gedanken zu “Drive (2011)

  1. ich finde, gerade durch sein letztes Drittel wird der Film so einzigartig. Die Gewalt ist ja sehr roh und steht total im Gegensatz zu der hochstilisierten Welt, die Refn uns vorher gezeigt hat. Ein grandioser Stilbruch, der selten so gut funktioniert.
    Da der Film ja bei uns erst dieses Jahr im Kino lief, mein bisheriges Highlight des Jahres (aber da kommt ja noch einiges …)

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    • Hmm, ich fand eher, dass die Gewaltszenen teils schon etwas – und ich weiß schon, dass man dies im Zusammenhang mit geliebten Filmen nicht gerne liest – selbstzweckhaft waren. Sie gingen ja nicht nur vom Driver aus (hier hätte man sich sicher noch eine Interpretation finden können), sondern auch von den Bösewichten. Hätte es meiner Meinung nach nicht gebraucht, doch davon einmal abgesehen ist „Drive“ natürlich ein exzellenter Film. Keine Frage.

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  2. Das hatte ich ja auch schon eingeräumt, dass die Geschichte im Grunde sehr abgegriffen ist und kaum Innovationen bietet, wobei, nein, im Grunde gar keine Innovationen bietet, nur habe ich eben den formalen Aspekt bei diesem Film wohl einfach stärker gewichtet.

    Die Heftigkeit der Gewaltspitzen wirkte zuweilen auch auf mich selbstzweckhaft, doch später war mir doch klar, dass manche Szene mit zurückgenommener Heftigkeit für mich einfach nicht funktioniert hätte, weil diese Ausbrüche eben so selten und wohlplatziert, dafür aber umso brutaler ausfallen und eine meiner liebsten Szenen der letzten Jahre kreiert haben – die Fahrstuhlszene.

    Mittlerweile habe ich mir übrigens auch das Buch von James Sallis zu Gemüte geführt und es ist interessant, was Winding Refn alles geändert hat, denn in der Vorlage existiert im Grunde kaum eine Liebesgeschichte, geschweige denn eine emotionale Annäherung die mehr ist als pure Behauptung. Und dieser Aspekt von „Drive“ ist ja nun mal – ich hoffe da sind wir uns alle zumindest einig – eine seiner größten Stärken.

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    • Es ist ganz klar, dass der Film besonders durch seine formalen Aspekte (Bildsprache, Montage, Soundtrack) besticht. Ohne diese wäre der Film auch komplett untergegangen und irgendwo in der B-Movie-Schiene gelandet. Refns Inszenierung ist es, die den Film zu einem kleinen Meisterwerk macht.

      Vielleicht haben mich die Gewaltspitzen auch so kalt gelassen bzw. kamen mir so selbstzweckhaft vor, da ich wusste, dass ich mit ihnen zu rechnen habe. Die Fahrstuhlszene fand ich in dieser Hinsicht aber auch äußerst beeindruckend – allerdings vor allem den Spannungsaufbau und die Lichtgebung.

      Hat die Vorlage denn inhaltlich etwas mehr zu bieten? Die eigentliche Geschichte ist ja doch irgendwie 08/15-Mafia- bzw. Heist-Gedöns. Wenn dann noch der emotionale Kern, sprich die famos behutsam inszenierte Liebesgeschichte, fehlt: Was bleibt dann noch übrig? Hat Refns einprägsamer Stil eine Entsprechung in der Sprache des Autors?

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      • Wohl wahr, im Grunde ist „Drive“ ja wohl so etwas wie ein Arthouse-Hochglanz-Heist-Movie.

        Inhaltlich ist die Vorlage übrigens genauso belanglos, was die Geschichte an sich betrifft, beleuchtet aber immerhin die Vergangenheit des Driver ein wenig. Gut wird die Geschichte auch hier erst durch die Inszenierung des Autors und dessen Sprache, Rückblenden und Zeitsprünge, also ebenfalls hauptsächlich formale Aspekte, die aus „Driver“ mehr machen als eine 08/15-Geschichte.

        Drivers Erlebnisse haben etwas poetisches, was man sonst so in Heist-Geschichten nicht oft findet, so dass Buch und Film tatsächlich durch ähnliche Stärken aus der breiten Masse herausragen.

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      • Danke für die Infos! Ich dachte mir bereits, dass auch die Vorlage formal etwas Besonderes ist. Warum sollte man sich sonst auch eine solche Geschichte für eine Adaption aussuchen? Klingt auf jeden Fall spannend. Poetisch ist wohl auch für den Film das richtige Wort. Mir ist noch hypnotisch eingefallen. Nun wird es Zeit, dass ich mir noch den Soundtrack zulege…

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  4. Da schau her, ein Film, den ich höher bewerte als du. Für mich ganz klar bisher der beste Spielfilm des Jahres, fraglich, ob da noch was Besseres kommt, so schwach wie 2012 bisher war.

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    • Da ich es kaum noch ins Kino schaffe, werde ich das Filmjahr 2012 wohl erst Ende 2013 beurteilen können. Dennoch kann ich durchaus nachvollziehen, warum „Drive“ solch einen Eindruck auf die Filmwelt hinterlassen hat. Ich hätte mir gegen Ende nur etwas weniger Einheitsbrei gewünscht.

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    • Ich war ja auch spät dran und hatte dennoch meinen Spaß mit dem Film. Ich hoffe nur, du weißt noch nicht zu viel darüber, denn das könnte dem Erlebnis abträglich sein…

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      • Ich weiß nur, dass er hochgelobt wird und das Film ganz anders sein soll, als der Eindruck den der Trailer vermittelt

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      • Sehr gut. Dann hoffe ich auch, dass du meinen Artikel noch nicht allzu genau gelesen hast und lade dich auf einen erneuten Besuch nach deiner Sichtung von „Drive“ ein… 🙂

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    • Nee, die 8 Punkte gehen schon voll und ganz in Ordnung. Die Gangstergespräche und Mafiatypen waren mir einfach zu stereotyp und habe ich in „The Sopranos“ bereits um ein vielfaches besser gesehen. Alles davor war aber tatsächlich fantastisch!

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    • Ist bei mir aber schon viel besser geworden, da ich heute gar nicht mehr die Zeit habe mir alle Trailer anzuschauen bzw. News zu leseb. Dafür gehen mir auch mehr Filme durch die Lappen – doch für diese hätte ich sowieso keine Zeit… 😉

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